Burnout
Die Hose war weit geworden. Fühlte sich ausgeleiert an. Äußerlich wie beim ersten Burnout, beim seelischen Burnout. Jedoch hatte dieses eine andere Auswirkung. Dieses Burnout sollte mich demütigen, wollte meinen Stolz brechen. Nahm meinen äußeren Rahmen. Ließ die Seele weder aus dem Körper treten, noch zart auf Wolken schweben. Um was ging es hier? Hier tobten, schäumende Wellen des Ärgers und eine Sturmflut der Wut erhob sich gegen Gott und die Welt. Hier wurde mir gezeigt, wie menschlich, wie unvollkommen ich war. All die mühsam erkletterten Karmastufen senkten sich ins Bodenlose.
Wir hatten vor, den Geburtstag meines Mannes am Abend groß zu feiern. Schon vor Monaten wurde ein Raum für an die hundert Gäste gemietet. Es sollte ein Fest für Verwandte, Freunde und Musiker werden. Mein Mann würde mit seiner Rockband auftreten. Mit angekündigter Session und Freibier, für auf der Bühne anwesende Musiker. Auch ich hatte vor, mich ins Rampenlicht zu stellen. Angefangen mit einem happy birthday to you ins Mikrophon hauchend, wie Marylin Monroe on stage für John F. Kennedy. Dann abbrechen mit der Erklärung, leider nicht so gut singen zu können und alle Freunde, denen es genauso ging, zur musikalischen Unterstützung auf die Bühne bitten. Happy birthday to you und Freibier für alle.

Beim Friseur, unterstützt durch die Zeitschrift aus der Glamourwelt gab ich mich meiner Vorstellung hin: Die blondierten Haare, zu einer mondän gestylten „Banane“ gedreht, wie Hitchcock es bei seinen Blondinen liebte. Im Kontrast graues T-Shirt, graue Röhrenjeans und Turnschuhe. Passend zur Frisur die Unterwäsche – sexy. Haha, da wusste ich noch nicht, dass dies meine einzige eigene Kleidung für die nächsten Monate sein sollte.
Es gab noch einiges zu organisieren: Das vorbestellte Essen abholen, den Raum vorbereiten, ein Rezept für den Couscoussalat suchen, diesen zubereiten.
Schnell nach Hause und loslegen.
Wieso standen die Nachbarn vor dem Gartentor?
Ich hatte jetzt keine Zeit, geschweige denn Muse für einen Ratsch.
Aber die wollten gar nicht ratschen. Sie fingen mich ab und führten mich, mit betroffenen Mienen in eine gegenüberliegende Wohnung. Eine tröstende Hand legte sich sanft auf meine Schulter. Was hatte das zu bedeuten? Im ersten Augenblick vermutete ich den Tod eines Angehörigen oder Bekannten. So setzte ich mich.
Der Bericht des Geschehenen drang zu mir durch, klang aber dermaßen unglaublich, unfassbar, also so schlimm konnte es nicht sein. Wie, unbewohnbar? Da wurde maßlos übertrieben.
In Begleitung der Nachbarn bekam ich eine Führung durch meine eigene Wohnung. Was für ein stechender, ungesunder, kaum erträglicher Geruch. Den Atem lieber flach halten. Von allen Raumecken her spannen sich schwarze Spinnwebennetze- auch wir putzten doch hin und wieder. Hatte ich etwa zu wenig Wert darauf gelegt, das Haus sauber zu halten? Der vor zwei Stunden gekaufte Salat schmierig, schwarz verfärbt, den konnte man nicht mehr essen. Er sah vor kurzem noch so frisch und knackig aus- ob er zum Abwaschen ging? Wahrscheinlich nicht. Die gesamte Wohnung glich dem Ambiente einer perfekt dekorierten Halloween-Party. Oder Pompeji, die Mandeln in der Schale erinnerten daran, dass die kurz zuvor noch jemand gegessen hatte.
"Burning down the house", vielleicht hätte die Band das am Abend spielen sollen. Oder "Smoke on the kitchen".
How the hell can I get that kitchen smell out of my clothes.
Ich landete im falschen Film. Protagonistin, Statistin, Cutterin und leider auch Produzentin in einem.
Der damit begann, das Fest am Abend wie geplant zu feiern(wo sollten wir auch hin?).
Im Drogeriemarkt, neben dem türkischen Stand für das Abendessen, kaufte ich mit einer Freundin erst einmal ein paar Zahnbürsten. Die alten waren verschmutzt, vermutlich sogar giftig. Da die Freundin keine Haarbürste dabei hatte, nahm ich gleich noch eine dazu, wir würden für die Zukunft eh neue brauchen.
An der Kasse ließen wir noch einmal Revue passieren, wie schrecklich alles aussah. Ich bemerkte den auf mir liegenden Blick der Kassiererin, die mich tatsächlich ansprach und meinte:" Also ich finde Ihre Haare sehen sehr hübsch aus.“
Da leistete sich der Regisseur in meinem Kopf einen kleinen slapstick:
„Entwurzelter Baum im Garten, Tornadowindstärke F4. Das Haar sitzt. Drei Wetter Taft!
Überschwemmung im Keller. Die Frisur hält. Drei Wetter Taft!
Die Wohnung, ausgebrannt, das Haar bleibt geschützt. Selbst Stunden später sitzt die Frisur noch immer perfekt!“

Lächelnd, fast lachend bedankte ich mich bei der Kassiererin.
"Schönes Haar sei dir gegeben, lass es leben mit Gard" -jetzt aber ruhe, du Virtuose der fantastischen Bilder in meinem Kopf und nimm deinen Chor bitte mit!
Was für ein skurril, mit Rückblenden, durchbrochener Geburtstag ( ich möchte anmerken, mit nur einem Gin Tonic meinerseits).
"Happy Birthday to you, my darling"
Am nächsten Morgen weckte mich mein Mann liebevoll mit den Worten:
“Das war kein Traum.“

Bericht von coracora:
"In dem 1993 erschienenem Buch “Kapitäne des Kapitals“ wird Robert Bosch folgendermaßen zitiert:
„Es war mir immer ein unerträglicher Gedanke, es könne jemand bei der Überprüfung eines meiner Erzeugnisse nachweisen, dass ich irgendwie Minderwertiges leiste. Deshalb habe ich stets versucht, nur Arbeit hinauszugeben, die jeder sachlichen Prüfung standhielte, also sozusagen vom Besten das Beste war.
Das Robert Bosch diesem Anspruch gerecht wurde, zeigt, dass auch über hundert Jahre nach Gründung der Firma Bosch der Name heute noch ein Begriff für qualitativ hochwertige Produkte ist. Trotzdem kam es im vergangenen Jahr zu einer großen Rückrufaktion einiger Geschirrspülmodelle. Trotz der bundesweiten Anzeigen in der Tagespresse konnten nicht alle Kunden erreicht werden. Zu diesen Kunden gehörten auch unsere Freunde. Sie schalteten ihren Geschirrspüler Bosch 5600048213(8206-1) ein und verließen für zwei Stunden das Haus.
Bei ihrer Rückkehr fanden sie eine Wohnung vor, die völlig unbewohnbar war, da sich der Geschirrspüler entzünde, ein riesiges Loch in die Arbeitsplatte der Küche schmolz und die gesamte Wohnung mit einer Schicht geschmolzenem Plastik überzogen hatte.
Glücklicherweise kam niemand zu Schaden, da sich die Familienmitglieder und die Katze, zu diesem Zeitpunkt außer Haus aufhielten. Aber das gesamte Inventar: Möbel, Kleider, Bücher, Kuscheltiere, Erinnerungsstücke wie Fotoalben u.s.w. sind völlig unbrauchbar geworden. Der beißende Gestank des vor sich hin schwelenden Plastiks zog durch die ganze Wohnung und machte selbst vor verschlossenen Kleiderschranktüren nicht halt.
Im Freundeskreis wird seit Wochen gewaschen, gelüftet und geschrubbt, um vielleicht einen Teil der Dinge retten zu können, denn nicht alles lässt sich so leicht ersetzen. Dies wird besonders deutlich, wenn man mit einem Wäschekorb voller Alben mit Familienfotos vor dem Altpapiercontainer oder dem Hochzeitskleid vor der Mülltonne steht. Stündlich entdeckt man Neues, von dem man sich trennen muss und das jetzt unwiederbringlich verloren ist."


Oh nein, du Schicksal, du kannst mich nicht brechen.
Nicht durch materiellen Verlust. Dann trete ich eben Jahre der Erinnerung in die Tonne.
Dann werfe ich halt weg und weg und weg…
Adieu: Huysmans , Oskar Wilde, Roald Dahl, Walter Mörs und ihr vielen, vielen Anderen.
Adieu ihr Berge von Kleidern und Klamotten.
Adieu du Tagebuch…
Nein, nicht die Geburtstagskarte meiner Freundin…
Oh mein Gott…
Natürlich kannst du mich brechen. Nimm mir nicht mir liebgewordene Menschen.
Ich beuge mich demütig…und bitte um Gnade.

Ja, du Schicksal, lehrst mich, mit dir zu hadern, mit all deinem Gut und Böse.

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coracora, Freitag, 31. Juli 2015, 21:49
Schicksalsgöttin sei gnädig.
Schenk uns ein Stück gemeinsamen Weg!
Lass uns die hellen und freien Momente gemeinsam erleben. Schnell weg aus dem rauchigen Schatten, mit seinen zähen Weben. Aber so einfach ist es nicht. Obwohl, da bist du jetzt Karmamässig auf der Überholspur.....
Ja, ja, wir sind frei. In unseren Gedanken haben wir alles- können alles erträumen.
oder real: leihen, tauschen, teilen unsere Siebensachen. Das ist ja grad in.
Müssen nicht besitzen. Nicht anhaften...da zitiere ich gern mal F.
Nicht an Dingen, Menschen; Liebe, Gewohnheiten, sagt er,
dann war F. irgendwie weg. Unerreichbar. Und doch da. Gedankensprung.
Es gehen viele andere Wege, in Gefilde die keiner kennt. Wohl wissend vermissen wir euch doch und leiden.
Schicksalsgöttin sei gnädig, lass uns unseren Schmerz lindern.

lalol, Mittwoch, 5. August 2015, 15:56
Der Bericht ist nicht ganz rund, ich weiß. Wie Käse, der in meinen Händen zerkrümelt.
Ich musste ihn nur "von der Backe haben", um mich anderen widmen zu können.
Menschen loslassen...denen ich mich öffnen konnte, die mich verletzen können, da tu ich mir schwer...
..wie sieht sie denn aus, diese gnädige Schicksalsgöttin?